"Es gibt ein Wir und ein Ihr"
- Ramona Willig
- 26. Dez. 2023
- 7 Min. Lesezeit
Ich möchte auf Rassismus aufmerksam machen, und mir fällt als Erstes der Satz „Black lives matter“ ein. Ich designe also ein T-Shirt mit diesem Aufdruck, aber irgendetwas stört mich. Ich unterhalte mich darüber mit mit den anderen aus dem Quagga-Team, und dann tauchen folgende Fragen bei uns auf:
Ist es überhaupt legitim, ein Shirt mit diesem Aufdruck zu vertreiben? Denn was wissen wir als weiße Unternehmer*innen überhaupt über Rassismus? Wir sind privilegiert, und wurden noch nie aufgrund unserer Hautfarbe oder unseres Aussehen benachteiligt. Wir wissen einfach nicht, wie sich eine solche Diskriminierung anfühlt.

Ich lese also einige Interviews zum Thema (Alltags-)rassismus in Deutschland.
Eines, das mir besonders im Gedächtnis bleibt, ist das von Tupoka Ogette, veröffentlicht am 05.10.2018 im migazin. Die Rassismus-Expertin gibt an, in Interviews ständig die gleichen Fragen gestellt zu bekommen. Und dass das Thema behandelt würde, als wäre man ganz am Anfang, als wären es Einzelfälle; doch sie sagt: „Rassismus ist (…) die Norm, und nicht die Ausnahme!“
Das meiste, was ich persönlich über Rassismus mitbekommen habe, ist aber durch Medien, Zeitungen und Fernsehen. Ich kenne ihn zum Beispiel in Verbindung mit Demonstrationen oder Polizeigewalt in den USA. Live erlebt habe ich aber kaum bis gar keine Vorfälle, denn ich bin weiß.
Das Thema ist also noch nicht greifbar für mich. Ich will daher die Perspektive wechseln, und wissen, wie viel Rassismus man auch heute noch als dunkelhäutige Person in Deutschland erlebt. Wie zeigt sich dieser? Wann und wo passiert so etwas?
Ich freue mich daher, die Gelegenheit zu haben, mich darüber mit meiner Freundin Ola zu unterhalten. Sie ist in Deutschland geboren, 21 Jahre alt und teilt ihre Erfahrungen im folgenden Gespräch mit mir.
Hallo, Ola.
Danke, dass du deine Erfahrungen zu diesem Thema mit uns teilst.
Ich möchte mit einer allgemeinen Frage beginnen: Was ist deine Definition von Rassismus?
Rassismus fängt für mich da an, wo Menschen nur aufgrund ihrer Herkunft in irgendeiner Form negativer behandelt werden.
Wann hast du damit erste Kontakte gemacht? Kannst du dich noch daran erinnern, wann du zum ersten Mal das Gefühl hattest, dass du aufgrund deiner Hautfarbe negativer oder anders behandelt wurdest, als andere Deutsche?
Bei mir fing es an, als ich in Situationen kam, in denen ich mit mir unbekannten Menschen in Kontakt kam – Also vor allem im öffentlichen Raum.
Ich erinnere mich noch daran, dass ich in Bussen von mir wildfremden Menschen angesprochen wurde. Jedes Mal mit der gleichen Frage: „Woher kommst du?“.
Als ich klein war, war diese Frage für mich leicht zu beantworten:
„Ich komme aus Deutschland.“ Doch dann kam seltsamerweise die Nachfrage:
„Nein, woher kommst du ursprünglich?“
Das verwirrte mich, denn ich bin in Deutschland aufgewachsen. Es ist das einzige Land, das ich kannte. Hier habe ich meine ersten Erfahrungen gemacht – hier ging ich zur Schule, hier habe ich meine Freunde und hier wohnt auch ein Großteil meiner Familie.
Schlussendlich antwortete ich dann immer, dass meine Eltern beide aus Nigeria kamen, und die Konversation (wenn man sie so nennen kann), war beendet.
Je älter ich wurde, und je öfter ich diese Vorfälle erlebte, desto mehr stellte ich mir aber die Frage: Wo gehöre ich hin?
Deutschland ist zwar das Land, in dem ich aufwuchs, aber offensichtlich sieht es mich nicht als einen Teil von sich.
Dann gibt es noch Nigeria, in dem meine Eltern aufgewachsen sind, aber ich kannte dieses Land zu dem Zeitpunkt nur von Erzählungen her.
Die Frage scheinst du oft zu hören. Offenbar hat sie sogar dazu geführt, dass du deine Identität in Frage stellst?
Ja, ich höre diese Frage sehr oft. Offenbar ist es bei den Leuten, die mich fragen so: Hey, deine Hautfarbe ist das Erste, was ich an dir sehe, das fällt mir auf, das will ich wissen – Aber ich frage mich: Wieso? Was bringt diesen Leuten diese Information?
Denn gerade, wenn man noch klein oder jung ist, und sowieso noch nicht weiß, wie man sich identifiziert, ist die Frage verwirrend. Man weiß natürlich selbst, dass man eine andere Hautfarbe hat, aber je öfter man gefragt wird, desto mehr merkt man:
Aha, es ist also auch ein Ding, dass ich anders aussehe.
Denn die anderen Leute im Bus oder in meiner Klasse werden sowas ja zum Beispiel nicht gefragt. Ich werde also aufgrund meines Aussehens anders behandelt.
Und die Konversation ist mit meiner Antwort ja auch immer beendet! Die Leute können mit meiner Antwort, mit dem Land, gar nichts anfangen. Ob ich jetzt Kamerun, Nigeria oder Ghana sage ist vollkommen egal – ah, schwarze Menschen, ah ok. (Aber ist das nicht offensichtlich?)
Eine andere Frage, die ich oft höre, ist: „Kommst du aus Afrika?“
Dann würde ich am liebsten entgegnen: Kommst du aus Europa, oder was? Das ist doch ein Kontinent, da sind Länder drin! (lacht)
Da ist so viel Unwissenheit.
Mich interessiert es auch einfach nicht, ob man jetzt Spanier*in, Deutsche*r oder sonst wer ist. Daher würde ich sowas auch nicht fragen – vor allem, weil ich weiß, wie scheiße es ist, so etwas ständig gefragt zu werden.
Welche Frage wäre in deinen Augen sinnvoller?
Zum Beispiel die Frage, ob man noch eine andere Sprache spricht. Mit dieser Information kann man wenigstens etwas anfangen. Denn dass ich - offensichtlich – nicht zu hundert Prozent aus Deutschland abstamme, ist ja wohl mehr als klar. Man sieht es, du weißt es, ich weiß es - Muss man es dann extra auch noch betonen?
Und ich bin auch kein Sprecher für alle schwarzen Menschen! „Ich habe gehört, Schwarze bekommen keinen Sonnenbrand, stimmt das?“, wäre so eine Frage.
Menschen sind doch unterschiedlich!
Manche vertragen Sonne zum Beispiel nicht, obwohl sie schwarz sind! (Sie wirkt sehr genervt, überspielt das aber mit einem Lachen)
Was könnte man hier tun? Denkst du, es würde helfen, wenn man sich zum Beispiel besser über Afrika informiert? Ich weiß ehrlich gesagt nicht mal genau, wie viele Länder es dort gibt.
Eine ganz andere Intention oder Herangehensweise wäre ja folgende: Wir kennen uns schon etwas länger und ich möchte mehr über dich und deine Erfahrungen wissen und Frage zum Beispiel: „Warst du schonmal in Nigeria, wie war es dort für dich?“
Ja, absolut. Da geht man dann im Gegensatz zu den anderen Fragen mit einem Interesse heran, nicht mit einem Klassifizieren. Und das finde ich etwas ganz anderes. Denn wie gesagt: Die Leute, die mich zum Beispiel im Bus fragen: „Woher kommst du?“, die interessiert das Land gar nicht. Es ist ihnen vollkommen egal.
Sie wollen einfach nur bestätigt werden: Ah okay, du bist anders.
Wenn man hingegen wirklich Interesse hat, und zum Beispiel nach meinen Erfahrungen fragt, die ich in Nigeria gemacht habe (sofern ich dort selbst schon mal war) - das ist dann nochmal was anderes, als dieses plumpe „Woher kommst du?“.
Diese Leute kennen nicht mal meinen Namen, aber als Erstes müssen sie klären, aus welchem Land ich komme.
Es sind wildfremde Leute, die mir einfach nur einen Stempel aufsetzen wollen. (Sie klingt sehr frustriert, enttäuscht und verletzt)
Ich verstehe die Frage (noch) nicht ganz. Hast du zufällig mal mit irgendjemandem gesprochen, der dir diese Frage gestellt hat? Der dir erklären konnte, was diese Frage bringt?
Nein. Ich hatte aber kürzlich eine Patientin [auf der Arbeit, Anm. der Verfasserin], die wissen wollte, ob es in Ordnung sei, wenn sie mich das jetzt fragt. Ich habe Nein geantwortet. Daraufhin war sie total irritiert: „Hä, wie jetzt?“
Sie konnte das überhaupt nicht nachvollziehen. Ich dachte mir: Wenn du mit einem Nein nicht leben kannst, dann frag doch einfach nicht. Und was interessiert sie das überhaupt? Ich behandle sie und dann sehen wir uns nie wieder im Leben! Ist es dazu denn wirklich wichtig zu wissen, aus welchem Land ich komme?
Ein anderes Mal durfte ich mir den Kommentar anhören: „Sie sprechen aber gut Deutsch.“ Natürlich, warum auch nicht, ich lebe seit über 20 Jahren hier und bin Deutsche, genau wie du!
Es ist so anstrengend. Zum Glück hat mein Kollege daraufhin etwas gesagt, denn ich kann mich einfach nicht mehr jedes Mal aufregen, wenn so etwas passiert. (Sie wirkt müde und abgekämpft.) Was mich an diesem Kommentar so aufregt, ist, dass aufgrund meiner anderen Hautfarbe so oft GRUNDSÄTZLICH davon ausgegangen wird, dass ich nicht in der Lage bin, gut Deutsch zu sprechen.
War das früher anders, also deine Reaktion?
Ja, als Kind ging mir so etwas noch tagelang nach, und ich habe lange überlegt, ob ich noch etwas anderes hätte sagen sollen. Aber mittlerweile gehe ich einfach den Weg des geringsten Widerstandes. Ich habe es verstanden. Es ist einfach so wie es ist.
(Wir schweigen beide kurz)
Für mich war das oft so ein latentes Thema, weil ich auch so wenig Berührungspunkte damit habe. Aber es kommt ja ganz offenbar noch so häufig vor.
Ja, und es ist nicht nur bei mir so. Zum Beispiel meine Mutter: Sie ist hier zur Schule gegangen und arbeitet jetzt in einem Krankenhaus. Und trotzdem ist sie solchen Situationen ausgesetzt!
Ein anderes Beispiel. Ich war meine Oma in einer Klinik besuchen. Ich wartete im Foyer, als eine ältere Frau aus dem Aufzug kam. Beim Vorbeigehen sagte sie laut: „Immer diese ganzen Nigger, die sind jetzt überall.“
Das tut mir sehr leid. Hat damals jemand eingegriffen? Oder welche Reaktion würdest du dir in einer solchen Situation von Außenstehenden wünschen?
Nein, niemand hat eingegriffen, wobei ich mir allerdings auch nicht sicher bin, ob es andere Menschen mitbekommen haben.
Ich würde mir natürlich wünschen, dass man einschreitet, wenn man solch eine Situation mitbekommt. Es würde für mich schon reichen, der entsprechenden Person zu sagen, sie solle mich in Ruhe lassen und einfach weiter gehen.
Ich selbst fühle mich in solchen Momenten oft wie gelähmt, einfach weil ich so perplex bin, warum ein anderer Mensch so etwas zu mir sagen würde.
Es ist definitiv auch nicht die Norm, aber ich finde, jedes Mal ist ein Mal zu viel.
So eine Situation lässt mich auch erstmal nicht so schnell nicht wieder los.
Und es ist jedes Mal wieder verletzend. Und es macht mich wütend. Ich frage mich dann immer: Wieso? Was geht in den Köpfen solcher Menschen vor sich? Was habe ich Ihnen getan?
Warum können sie mich denn nicht als Teil der Gemeinschaft akzeptieren?
Manchmal habe ich auch das Gefühl, egal wie sehr du bemüht bist dich anzupassen - wenn du deine Hautfarbe nicht ändern kannst, wirst du trotzdem niemals vollständig akzeptiert werden.
Zumindest nicht als vollwertiges, deutsches Mitglied der Gesellschaft. Es gibt immer ein „Wir“ – und ein „die Anderen“. Man ist nicht gleichwertig, und das merke ich in meinem Alltag. Das ist okay, solange du ein Teil des „Wirs“ bist. Aber ich kenne nur die Seite „der Anderen“.
Das oben erwähnte Interview von Tupoka Ogette zum Nachlesen: https://www.migazin.de/2018/10/05/das-interview-welches-ich-gern-einmal-ueber-rassismus-fuehren-wuerde/ (Stand 14.06.21, 14:19 Uhr)
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