Warum wir Feminismus immer noch brauchen
- Ramona Willig
- 26. Dez. 2023
- 3 Min. Lesezeit
Es ist Spätsommer 2020 und ich fahre übers Wochenende zu meinen Eltern. Ich habe extra einen Zug mit viel Umsteigezeit gebucht, da die Bahn ja öfter mal eine sehr großzügige Definition von Pünktlichkeit besitzt. Daher habe ich in Stuttgart noch eine Stunde Zeit.
Ich hole mir also einen Kaffee und döse im Schlossgarten auf der Wiese so vor mich hin. Eine halbe Stunde lang ist alles gut, ich genieße die warmen Sonnenstrahlen, die Ruhe, und bin tiefenentspannt.
Plötzlich höre ich im sonst fast menschenleeren Park männliche Stimmen und Schritte, die auf mich zukommen. Ich überlege noch, einfach zu tun als würde ich schlafen, denn ich will ganz offensichtlich meine Ruhe. Ich entscheide mich schlussendlich aus Höflichkeit aber dagegen. Vielleicht braucht ja jemand Hilfe, oder will nach dem Weg fragen. Widerwillig öffne ich langsam die Augen und sehe wenig überraschend jedoch einen Mann, der zielstrebig auf mich zukommt. Sofort kippt meine noch entspannte Stimmung und ich bin latent genervt. Ich habe schon eine Vermutung, was gleich passieren wird.

Und tatsächlich. Er spricht mich an: „Hallo, du bist im Park ganz alleine?“ Ich drehe den Kopf weg und ignoriere ihn halbherzig, in der Hoffnung, dass er einfach weiter geht. Tut er natürlich nicht. „Was du tun hier? Willst du reden?“ Ich schaue ihn kurz an und dann wieder weg und schüttle wieder den Kopf. „Du willst alleine sein?“ – ich nicke und merke schon, dass es die falsche Reaktion war, wie immer, ignorieren tut ihnen meistens nicht gut, sie wollen wahrgenommen und direkt angesprochen werden. Aber ich hatte einfach keine Lust.
Er macht sich aber mit federnden Schritten auf den Rückzug und proklamiert: „Deutsche Frauen immer wollen alleine sein!“Ich bin überrascht, dass er es so schnell kapiert hat und mich in Ruhe lässt. Also lächle ich einigermaßen höflich, stimme ihm mit einem „Ja“ zu und wende mich wieder ab. Das ging echt schnell, wow, denke ich mir. Ich dachte, es eskaliert mal wieder. Und: Aber wenn du es doch schon weißt, warum probierst du es denn trotzdem immer wieder. Für mich ist die Sache damit erledigt. Für ihn jedoch nicht. Als er ein paar Meter entfernt ist muss er doch noch ein „Fuck you. Arschloch!“, an mich loswerden.
Vielen Dank dass du meine Ruhe und meine Entspannung zerstört hast. Mal wieder.
Denn wieder einmal wurde ein Mann in seinem Ego angegriffen, weil ich als Frau nicht so reagiert habe, wie er es gerne hätte. Ja, ich möchte einfach nur im Park sitzen wie jede*r andere auch, die Sonne genießen und in Ruhe gelassen werden. Nein, ich habe so etwas schon so oft erlebt, ich habe keine Lust mehr, das jedes Mal aufs Neue ausführlichst und super freundlich zu erklären, warum ich mich nicht unterhalten möchte und warum es mich stört, wenn so etwas schon wieder vorkommt. Und wie fast jedes Mal muss ich mich am Ende als „Arschloch“, „Schlampe“ oder „Bitch“ bezeichnen lassen, weil manche Männer nicht mit Desinteresse oder Ablehnung umgehen können. Auch wenn ich weiß, dass es mehr über ihn als über mich aussagt, bin ich jedes Mal wieder aufs Neue wütend und es lässt mich einige Zeit nicht los.
Vermutlich hätte ich ihm mehr Aufmerksamkeit schenken sollen. Netter sein. Wie es sich für eine brave Frau gehört. Er wollte doch nur fragen, sagen viele. Sei einfach höflich, erkläre es und freu dich darüber, sieh es als Kompliment. Ihr Frauen wollt doch Aufmerksamkeit.
Nein, ich will einfach alleine sein. Wäre ich ein Mann, hätte ich den Moment im Park genießen können ohne ungewolltes Angesprochen-Werden, Sich-Rechtfertigen-Müssen und dann noch beleidigt werden, einfach so. Einfach, weil ich ein Mann bin.
Aber war das denn echt so schlimm? Ja! Weil es ständig passiert. Ich habe keine Lust mehr.
Es ist egal, ob ich Nachrichten einfach ignoriere in der Hoffnung, dass mein Gegenüber etwas Selbstwertgefühl hat und nach der zehnten unbeantworteten Nachricht aufhört zu schreiben und seine Energie auf jemand anderen konzentriert. Manchmal ist es vielleicht Ghosting, das ist nicht in Ordnung und ich versuche, es zu vermeiden. Oder es liegt einfach an der letzten Nachricht („Fixken?“) oder dem ungefragten Dickpic.
Was viele auch nicht verstehen – es liegt nicht an mir, an uns, an Frauen. Denn selbst wenn wir sagen, wir haben keine Lust, wir wollen nicht reden, wir haben kein Interesse, vielen Dank trotzdem – fühlen sich die unsicheren, aufdringlichen Männer persönlich angegriffen. Und dann endet dann meist so: „Schlampe. Bist eh hässlich.“
Naja. Gerade eben hast du mich doch noch in den Himmel gelobt.
Ich versuche, trotz allem höflich zu bleiben und erwarte auch im Gegenzug diesen Respekt. Ein Nein heißt Nein, auch wenn es dir weh tut. Ablehnt werden ist hart, eine Abfuhr zu bekommen auch. Aber ich bin als Frau nicht dafür verantwortlich, wie du dich dann fühlst – und auch nicht für dein Selbstwertgefühl und dein Ego.
Versuchs doch nächstes Mal einfach mit einem: „Ah okay. Schade.“ Und dreh dich um und geh.
Ich verspreche dir, dass wir uns danach dann beide nicht so beschissen fühlen.
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